Nader Jindaoui, Niklas Wilson Sommer, Elias „Eligella“ Nerlich, Sidney Friede, Max „Trymacs“ Stemmler – die Liste der Fußballinfluencer wird immer länger. Selbst in Leutzsch ist mit Amin Belhadj aka Aminho ein Exemplar zugegen. Sie erreichen sehr viele Menschen – teilweise sogar Millionen. Gleichwohl werden sie viel kritisiert oder gar gehasst. Mit diesem Artikel versuche ich hinter das Modell „Fußballinfluencer“ zu blicken. Wie funktionieren sie? Welche positiven Aspekte haben sie? Und wem gehört die Zukunft?
Nader Jindaoui – zu berühmt für die Regionalliga?
Es ist der 16. Juli 2022. Die U23 von Hertha BSC bestreitet im heimischen Amateurstadion ein Testspiel gegen den Oberligisten Tasmania Berlin. 2.300 Zuschauer:innen sind bei diesem Testspiel zugegen. Die absolute Mehrheit wegen einem Neuzugang vom Berliner AK. Nader Jindaoui wechselte im Sommer 2022 vom Berliner AK zur U23 des damaligen Bundesligisten Hertha BSC. Er hätte auch seinem ehemaligen Coach André Meyer zum Halleschen FC in die dritte Liga folgen können – Jindaoui entschied sich aber für die Hertha und seine Heimatstadt Berlin. An jenem 16. Juli bestreitet er eines seiner ersten Spiele für die Blau-Weißen. Es steht in der 75. Minute bereits 3:1 für die Hertha Bubis als immer mehr jugendliche Nader-Fans auf dem Platz stürmen um ein Selfie mit ihrem Idol zu erhaschen. Ante Covic, damals Trainer der Hertha U23, reagierte und wechselte den Internetstar aus. Das verhinderte aber nicht, dass das Testspiel kurz vor Schluss aufgrund von wiederholten Platzstürmen abgebrochen werden musste. Der Twitter-Beauftragte der Neuköllner berichtete von diesen Szenen mit Fassungslosigkeit.
Von diesem Novum wurde bundesweit berichtet. Die Kritik war groß. Nur einer wollte von Kritik nichts wissen: Jindaoui selbst. Dieser äußerte sich in einer Instagram-Story nach dem Abbruch folgendermaßen: „Was war das für ein Tag, ich komm‘ einfach nicht klar. Dieses Gefühl, euch alle zu sehen – ich hatte die ganze Zeit Gänsehaut. Ich bin ein bisschen traurig, dass die Polizei das abgebrochen hat, es haben sich 99 Prozent benommen. Aber es müssen sich alle benehmen, damit auch alle ihre Fotos bekommen. Ich war bereit, bis morgen früh dazustehen. Ich weiß, ihr seid von weit weg gekommen, das werde ich nie vergessen.“. Jindaoui lobt damit seine Fans, die durch ihr Verhalten den Spielabbruch provoziert haben, anstatt dies zurecht zu kritisieren und zur Ordnung zu mahnen. Viel mehr befeuert er seine Zuschauerschaft, die zu großen Teilen aus sehr jungen Kids besteht, immens, dies zu wiederholen. Bisher hat sich ein vergleichbares Ereignis nicht erneut zugetragen, allerdings sorgten Nader-Fans beispielsweise beim Auswärtsspiel der Hertha U23 in Eilenburg für eine kurze Spielunterbrechung.
„Was war das für ein Tag, ich komm‘ einfach nicht klar. Dieses Gefühl, euch alle zu sehen – ich hatte die ganze Zeit Gänsehaut“
Nader Jindaoui am Abend nach dem Spielabbruch bei Instagram
Knapp 3 Monate zuvor: Nader Jindaoui trägt noch das Trikot des Berliner AK. Die BSG Chemie hat unter der Woche den FSV Zwickau im Elfmeterschießen aus dem Pokal geworfen und ist ins Finale des Sachsenpokals eingezogen. Ein paar Tage später stand das Katerspiel gegen den BAK an. Ich bin mit @simon19481 auf dem Weg nach Leutzsch. Vor uns läuft eine Gruppe junger Kids, die mehrmals Klingelstreiche an den Häusern auf dem Weg zum AKS machen. Sie kamen extra für Nader Jindaoui nach Leutzsch. Nach Abpfiff der Partie gab es am Tor zu den Kabinen einen Stau. Jindaoui schrieb auch in Leutzsch fleißig Autogramme und machte Selfies mit Fans.
Bei diesem sportlich bedeutungslosen Spiel ereignete sich ein legendärer Schlagabtausch zwischen Nader und Manuel Wajer. MW4 hatte genug vom provokant trickreichen Außenstürmer und behandelte Jindaoui rustikal. Seine Fans fragten später nach und Jindaoui äußerte sich auf Instagram zu der Szene.
Doch warum hat Nader eigentlich so viele Fans? Was macht der eigentlich? Ein Blick auf seinen Content: Auf dem YouTube-Kanal „Jindaouis“ lädt Nader mit seiner Frau Louisa wöchentliche Vlogs aus ihrem Leben hoch. Zudem finden Nader’s Achtjährige Schwester Mila und seine Zweijährige Tochter Imani prominent statt. Allein zwei so junge Kinder unzensiert und ungefiltert einem Millionenpublikum auszusetzen ist mehr als fragwürdig. Insbesondere da Imani praktisch mit ihrer Geburt, eigentlich auch bereits davor, mit der Kamera begleitet wurde. Genau so handhabten die Jindaouis dies auch mit ihrem kürzlich geborenen zweiten Kind Nidal.
Die Vlogs der „Jindaouis“ erinnern sehr an Reality TV. Nader und Louisa erzählen die perfekte Geschichte: Zwei Kids mit Migrationshintergrund aus schwierigen Verhältnissen. Sie kennen sich seit Jugendtagen, kommen später zusammen, heiraten und bekommen zwei Kinder. In den Videos sieht man liebevolle Eltern die es von ganz unten nach ganz oben geschafft haben. Wer liebt das nicht? Es scheint nur eine Frage der Zeit bis eine TV-Produktion eine Doku über die Familie plant. Genau das zieht viele – gerade junge – Menschen an. Sie nehmen sich die beiden als Vorbild. Die Videos sind recht knackig geschnitten, wenig aber prägnant editiert und 2 Hauptakteure, die sich nicht zu Ernst zu nehmen scheinen, machen oft ganz normale Alltagssachen. Leichte Kost eben.
Besonders das Video „ICH HABE EIN FEHLER GEMACHT“ sticht in diese Kerbe. In diesem Video zeichnet Nader seinen Weg vom Berliner AK zu Hertha BSC nach. In einem Dokumentationsnahem und Möchtegern-epischen Format kommt seine Mutter (die er anders als seine Kinder zensiert), seine Frau Louisa, seine (Vereins-)Ärzte sowie Andreas „Zecke“ Neuendorf und Kevin-Prince Boateng zu Wort. Schnell wird klar: Nader möchte auch mit diesem Video eine Geschichte erzählen. Seine Geschichte. Vom fußballerischen Emporkömmling, der trotz aller Rückschläge weiter für seinen Traum Profifußballer kämpft. Und ja, seine Willenskraft und sein Durchhaltevermögen ist durchaus bewundernswert. Aussagen wie: „Ich bin nicht die 1% die es schon geschafft hat. Ich bin die 99% die immer noch für seinen Traum kämpft!“ sind aber durchaus populistisch. Nader hat es noch nicht geschafft – im Fußball. Im Internet hat er es geschafft. Mit seinen Internetaktivitäten kann Jindaoui sich und seiner Familie ein besseres, sehr gutes und gehobenes Leben ermöglichen. Er kann sich voll und ganz auf den Fußball konzentrieren ohne sich sorgen zu müssen, wie er die Miete zahlt wenn sein Vertrag ausläuft oder was mit ihm geschieht falls er sich schlimmer verletzt. Anderen Spieler:innen, die diesen Traum hegen, ist dieser Luxus nicht gegeben. Gleichzeitig muss man ihm aber auch in diesem Kontext zu Gute halten: Er hätte es finanziell nicht nötig in der Regionalliga zu spielen. Das Gehalt, das ihm Hertha BSC überweist ist vermutlich ein Bruchteil seines Monatseinkommens. Aber er spielt nicht für Geld oder Ruhm – das hat er beides schon. Er möchte seinen Traum vom Profifußball wahr werden lassen. Etwas, was vielleicht nicht nur der Traum des Autors dieser Zeilen war, sondern auch von euch Lesenden ist oder war.
Gewissermaßen ist dieser Traum für ihn wahr geworden. Am 6. Dezember 2023 wurde Nader Jindaoui für Hertha BSC im DFB-Pokalspiel gegen den Hamburger SV im Olympiastadion vor 60.000 Zuschauer:innen eingewechselt. Dabei leitete er das 3:3 ein und verwandelte im Elfmeterschießen seinen Elfmeter – Hertha kam weiter. Die Sportschau schlachtete ihn und sein Dasein gleich für das Thumbnail und die dazugehörige Story aus. Dafür kann Jindaoui gar nichts. Beim Medienpartner der Regionalliga Nordost „Ostsport TV“ ist er beinahe immer im Titel – dafür muss er manchmal gar nicht spielen. Auf dem YouTube-Kanal von „Ostsport“ ist er in 28 der 30 meistgeklickten Videos vertreten. Der Clickbait funktioniert. Diesen beherrscht Nader aber auch selbst hervorragend: Die 2-jährige Imani auf gleich 18 Vorschaubildern in den letzten 6 Monaten prominent und unzensiert abgebildet. Auch Nidal hatte schon mehrere Auftritte – natürlich auch schon vor seiner Geburt. YouTuber „Alpha Kevin“ ging noch weiter und trackte die durchschnittliche Screentime von Tochter Imani: Diese liegt demnach bei rund 6 Minuten pro Video (meist 8-10 Minuten). Somit ist die Zweijährige ganz allein mehrheitlich Inhalt der Videos der Jindaouis. Nader weiß das und da es funktioniert wird diese Masche weiter bedient.
Nach dem Spiel gegen den HSV äußerte sich Jindaoui im Sky-Interview folgend: „Ich spiele mein Leben lang Fußball. Auch wenn manche gerne sagen, dass ich Influencer bin. Aber ich bin Fußballer – und teile ein bisschen mein Leben. Wenn man mich googlet, steht da Fußballer.“ Das mag sein, dennoch erreichte Nader seine große Reichweite nicht als Fußballer sondern als Influencer. Auch sein Trikot der U23 wurde nicht das meistverkaufteste Trikot des Vereins weil er ein so toller Fußballer ist. Jindaoui zeichnet gerne das Bild des Underdogs über sich, der er einst war, aber nun längst nicht mehr ist. Er wohnt in einer riesigen Wohnung, ausgestattet mit Designer-Möbeln, im Zentrum Berlins, verdient monatlich nach eigenen Angaben sechsstellig, hat Sponsorenverträge mit Nike, wird mit seiner Frau regelmäßig auf Events aller möglichen Marken eingeladen und das alles sicherlich nicht, weil er ein passabler Fußballer in der Regionalliga Nordost ist.
„Ich spiele mein Leben lang Fußball. Auch wenn manche gerne sagen, dass ich Influencer bin. Aber ich bin Fußballer – und teile ein bisschen mein Leben. Wenn man mich googlet, steht da Fußballer.“
Nader Jindaoui im Sky-Interview über seinen Beruf
Jindoui sollte nicht zum Dauergast im Profikader werden. Dem Einsatz im Pokal folgte nur ein 29-minütiger-Schnupperkurs in der zweiten Liga beim Heimspiel gegen Osnabrück. Für einen Jungen aus dem Berliner Wedding ist das auch egal – sein Traum ist temporär in Erfüllung gegangen.
Nader weiß was er tut. Und darin ist er gut. Er weiß haargenau wie er sich inszenieren muss, um seine Fans anzufachen. Damit hat er sich ein sehr gutes und privilegiertes Leben ermöglicht, als es mit dem Fußball nicht funktionierte. Nun funktioniert beides. Halbwegs zumindest. Die Kritik an seiner Person ist allerdings auch mehr als berechtigt. Ob nun wegen der Inszenierung seiner Kinder bzw. seiner Schwester, der Vereinnahmung von Hertha BSC und vorherigen Vereinen, der überteuerten „Jindaoui-Bowl“ (eine Bowl mit Schokopudding und Obst für 8,50€ bei „Wonder Waffle“) oder auch einfach nur aufgrund Antipathie. Obendrein drückt sich der Internetstar oft ungeschickt aus. Ein Beispiel dafür: Jindaoui sollte für ein Video, Dinge aufzählen, die er an seiner Frau liebt. Resultat: „Ich mag es wenn du dich schämst.„. Des Weiteren ist sie aber auch eine gute Hausfrau und sehr attraktiv. Na immerhin.
Kritisiert wird der 27-jährige aber eher selten in der großen Öffentlichkeit. Noch seltener äußert er sich zu der Kritik. Die Meinungs-YouTuberin „Sashka“ fasste seine seltenen Statements aber in ihrem Video „Warum diese Statements nichts in der Öffentlichkeit zu suchen haben“ sehr gut zusammen. In einem Statement zur Kritik um das Zeigen seines Kindes sagte Jindaoui: „Wir haben doch alle schon Mal Kinderserien mit Kinderschauspielern geschaut. Das Problem sind nicht wir, die Spaß und Liebe verbreiten wollen, sondern Pädophile.“. In gewisser Weise hat er damit Recht, allerdings entzieht sich Nader mit diesem Satz auch der elterlichen Pflicht des Schutzes seiner Kinder. Imani und Nidal sind auch keine Kinderschauspieler sondern Privatpersonen. Imani wurde bei ihrer Geburt gefilmt, bei ihren ersten Worten und Schritten und selbst wenn sie sich in die Windel machte, wurde die Kamera drauf gehalten. Eine wirkliche Einwilligung kann sie gar nicht geben. Jindaoui hängt im weiteren Verlauf des Statements noch die Täter-Opfer-Umkehr einer Vergewaltigung als Argument an. Anders als bei einer Vergewaltigung, gibt es aber in dem Szenario seines Kindes mehr als nur Täter und Opfer. Dazwischen geschaltet sind Nader und Louisa als dritte Partei (Eltern), die verhindern sollten, dass so viel intimes Material ihrer Kinder an eine große Öffentlichkeit gelangt. Darüber hinaus gibt es natürlich noch viele weitere Aspekte, wieso man sein Kleinkind nicht unzensiert filmen und vor einem Millionen Publikum so private und intime Aufnahmen präsentieren sollte.
Beinahe hätte man denken können Nader hat aus der Kritik gelernt. Nach der Geburt des zweitens Kindes Nidal präsentierten die Jindaouis zwar stolz ihr Kind im Netz – sicher auch schon ziemlich ungeil, aber immerhin nicht sein Gesicht. Drei Tage nach der Geburt war es dann endlich soweit und das Gesicht des Neugeborenen landete vor einem Millionenpublikum im Netz.
Seine Fans folgen ihm trotzdem blind. Selbst wenn Meinungsblogger die Beziehung zwischen Nader und Louisa mit validen Punkten als toxisch nachzeichnen. Beispielsweise empörte sich das Internet vor kurzem über eine Story von Nader, in der seine Frau Louisa ihm zwei Tage nach der Geburt, die wie man nachverfolgen konnte mehrere Komplikationen hatte, Essen kochte. Nader untertitelte den Beitrag unter anderem mit „Endlich essen“. Mehr als nur schwierig.
Egal wer etwas gegen die Jindaouis sagt, der kann sich sicher sein dass seine Kommentarspalten schnell gefüllt sind. So vielleicht nun auch unsere. Dabei sind die Kommentare oft alles andere als sachlich. Gerade Nader, der nach eigenen Angaben sehr viele Hate-Nachrichten und gar Todesdrohungen erhält, müsste wissen was diese anrichten können. Stattdessen befeuert er seine Fans dabei indirekt, da er selbst absolut kritikunfähig ist und nichts auf sich und seine Aktivitäten kommen lässt.
Dabei wäre es so wichtig als junger Mensch seine Vorbilder zu hinterfragen. Insbesondere dann, wenn die Vorbilder toxische, konservative & veraltete Rollenbilder vorleben und weitergeben. Von der Abschaffung der Privatsphäre seiner eigenen Kinder ganz zu schweigen. Die beiden spielen stattdessen weiterhin die perfekte Beziehung für ihre Zuschauer. Das ist für alle Beteiligten hochgefährlich. Andere Familieninfluencer wurden bereits für deutlich weniger zu Recht „gecancelt“.
Ergänzung: Am Tag nach der Veröffentlichung dieses Artikels veröffentlichte die reichweitenstarke YouTuberin „Sashka“ ein Video mit dem Titel „Die fragwürdige Welt der Jindaouis – wenn Kindercontent besser klickt“. Dieses schlägt genau in die Kerbe um die Themen dieses Artikels und stellt eine sehr gute Ergänzung dar. Medientipp!
Am Ende des Tages ist Jindaoui eben Influencer und Fußballer. Beides Berufe für die man keinen Schulabschluss braucht. Finanziell kommt er mit seiner Familie auch so ganz gut über die Runden. Alles andere scheint ihm egal zu sein.
Aus Trend wird Normalität?
Nader Jindaoui ist vielleicht der Reichweitenstärkste aber beileibe nicht der einzige seiner Zunft. Seit knapp einem Jahr ist auch Nader’s Teamkollege Marlon Morgenstern auf YouTube aktiv. Neben Vlogs, Fußball-Challenges und Food Tests, veröffentlichte auch er eine eigenproduzierte, vor Sensation nur so triefende Doku über seine eigene Person. Dazu beantwortet er auch im persönlichen FAQ die wirklich wichtigen Fragen des Lebens, beispielsweise mit wie vielen Frauen er geschlafen hat. Das schlägt genau in die Content-Kerbe seiner Crew bestehend aus Sidney Friede, Niklas Wilson Sommer, Elias Nerlich aka Eligella sowie weiteren Influencern. Insbesondere bei Sidney Friede – ehemaliger Bundesliga-Profi bei Hertha BSC – und Niklas Wilson Sommer – Spieler der U23 des 1. FC Nürnberg – vergeht kaum ein Stream in dem nicht über Frauen gesprochen wird. Sommer bezeichnet seine Liebschaften dabei öffentlich als „Prüfungen“ bzw. „Challenges“. Mehr Objektifizierung & Sexualisierung geht kaum.
Sommer – genannt „Willy“ – kommt gebürtig aus Dessau, durchlief die Jugend des 1. FC Nürnberg komplett bevor er zur zweiten Mannschaft des VfB Stuttgart wechselte. Es folgten Stationen in Großaspach, im slowakischen Streda und bei Waldhof Mannheim. Nach zuletzt dreimonatiger Vereinslosigkeit schloss er sich der U23 des 1. FC Nürnberg an. Die Nordkurve Nürnberg zeigte im Heimspiel nach Sommers Vertragsunterzeichnung ein Spruchband mit folgendem Text: „Niklas-Wilson: Mehrwert für die U23 oder doch fürs Performance Marketing?“. Eine berechtigte Frage. Mit der Reichweite der Internetstars erschließen sich den Vereinen neue Zielgruppen. Bereits in Mannheim sorgte der Rechtsverteidiger für Rekordabsätze seines Trikots. Auch in Nürnberg soll sein Trikot bereits das am häufigsten verkaufte sein. Der „Glubb“ profitiert also nicht nur sportlich. Sommer hingegen hält es anders als Jindaoui. Auf seinen Kanälen wird sein Fußballer-Dasein nur am Rande erwähnt, dass sei ihm wichtig.
Doch für Fußballinfluencer müssen wir gar nicht nach Berlin oder Nürnberg schauen, denn mit „Aminho“ haben wir selbst ein Exemplar in Leutzsch. In Folge 72 unseres Podcasts sprachen wir mit ihm über das Dasein in der Branche. Mit mittlerweile 1,5 Millionen Followern auf TikTok zählt Amin zu den Größten seiner Zunft auf dieser Plattform. So groß, dass der 24-jährige auf Influenerevents wie „Battle of the Socials“ eingeladen wird. Ein Event in dem Influencerteams ein Fußballturnier ausspielen. Das Zuschaueraufkommen in der Mainzer Arena war allerdings so gering, dass Influencer „Chef Strobel“ vorschlug bei nächsten Male einfach die örtlichen Ultras einzukaufen. Auch das passt in das Weltbild und Selbstverständnis der Influencer.
Zurück zu Amin: Dieser schrieb sich, aufgrund seines Körpergewichts wegen einer seltenen Stoffwechselkrankheit, auf die Fahne, mit seinen Clips übergewichtigen Menschen zu mehr Selbstbewusstsein zu helfen. Eine sehr gute Sache, mit der er auch Erfolg zu haben scheint. Seine Videos sind nicht komplex oder aufwendig produziert – doch sie funktionieren. So gut, dass er von seinen Social-Media-Aktivitäten leben kann.
Doch Business ist Business. So häufen sich die Produktplatzierungen auf seinem Channel, die Clips im blau-gelben Al-Nassr Trikot mit Ronaldo-Flock und Clips, in denen er sich wannabe-witzige „Food-Baller“-Namen geben lässt. Ebenso teilte er auch den Beitrag von Memphis Depay’s Solidarisierung zu Benjamin Mendy. Ein Fragenkatalog zu diesen Themen, sowie zu weiteren Themen des Spektrums, ließ Amin begründet unbeantwortet.
Die Zukunft?
Wie die Zukunft aussieht kann man natürlich schwer voraussagen. Fakt ist: Der Markt für Fußballinfluencer wird immer größer. Teilweise drängen auch Fußballer in den Influencer Bereich. Holstein-Kiel-Profi und Ex-Bayern-Talent Jann-Fiete Arp fing kürzlich an, auf Twitch zu streamen. Andersherum drängen auch Influencer, die eigentlich wenig mit König Fußball am Hut haben, in diesen Contentbereich. Streamer „Knossi“ (Bürgerlich Jens Knosalla) – eher bekannt für Casino-Streams und „Just Chatting“ – rettete seinen örtlichen Heimatverein – den SC Baden Baden – mit einem Sponsoring vor der Insolvenz und streamt seitdem hin und wieder die Heimspiele des Klubs. Diese sind als großes Event ausgerichtet. Zuschauer können durch eine eigene App bestimmen welches Trikot getragen werden soll, wer die Kapitänsbinde tragen darf oder wer welchen Standard schießt. Moderiert und kommentiert wird das Ganze dann vom ehemaligen „9LIVE“-Moderator Max Schradin. Black Mirror im Amateurfußball.
Mit dem neugegründeten „Delay Sports Berlin“ und dem „SSV Hardstuck“ gibt es da allerdings noch 2 andere Kaliber. Insbesondere Delay Sports sorgte bei ihrer Gründung 2022 für großes Aufsehen. Gründer des Vereins sind unter anderem die bereits erwähnten Elias Nerlich und Sidney Friede. Binnen weniger Wochen überholte der Influencerklub auf Instagram in Sachen Followerzahlen die Stadtrivalen Hertha BSC & Union Berlin. Normalerweise müssen neugegründete Vereine in Berlin erst einmal 3 Saisons in der Freizeitliga kicken, um sich zu beweisen – Delay Sports erhielt eine Ausnahemegenehmigung und durfte direkt in der Kreisliga C starten. 4.500 Zuschauer:innen kamen vor Saisonbeginn zum Testspiel gegen – ratet Mal – Tasmania Berlin (der Kreis schließt sich). Im letzten Heimspiel der Saison stellte man dann mit über 2.000 Zuschauer:innen den Rekord für die Kreisliga Berlin auf. So viele Zuschauer:innen, dass die Stars mit persönlichen Bodyguards bei den Spielen zugegen sind. Bei genauerer Betrachtung bemerkt man aber recht schwankende Zuschauerzahlen. Besonders in der kalten Jahreszeit sank die Zuschauerzahl rapide.
Influencer scheinen zwar viele Menschen ins Stadion zu ziehen, was ein positiver Aspekt ist, allerdings kann man berechtigterweise hinterfragen wie nachhaltig dies ist. Es wirkt so, als würden die Zuschauer:innen, die bei einem Spiel bereits ein Foto mit ihrem Idol erhascht haben, danach erstmal satt sein und so schnell nicht wieder kommen. Ebenso fragwürdig sind die Werte und Ansichten, die die Stars ihren oft sehr jungen Fans mitgeben.
Der bereits angesprochene „Trymacs“ war es auch, der mit seinen Influencer-Kollegen „ViscaBarca“ und „UnsympathischTV“ bei dänischen Zweitligisten Aalborg BK als Investor einsteigen wollte. Aussagen wie „unser eigener Verein“ mit dem man „FIFA in Real-Life“ spielen könne, rief vor allem die Aalborger Fanszene auf den Plan. Keine zwei Wochen nach dem Einstieg, wählten die drei Influencer bereits den Ausstieg. Ein deutliches Zeichen wem der Verein und dessen Zukunft gehört.
Vielleicht ist es aber auch ein Stück weit an den Vereinen, die die oft sehr jungen Fans empfangen, diese zu binden und zu zeigen, dass es um mehr gehen kann, als nur schnelle TikTok oder Instagram-Likes und um Personenkult. Sondern um Mitbestimmung, Gemeinschaftsgefühl und vieles mehr. Eines ist sicher: Auch beim Heimspiel am kommenden Samstag gegen die Hertha Amateure kommen wieder einige Menschen in den AKS, nur um Nader Jindaoui zu sehen.
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