Datenschutz in Zeiten Coronas: Zwischen Vorsorge und Sammelwut

Datenschutz ist unsexy. Und er nervt, wirkt oft wie aus der Zeit gefallen. Jede Cookie-Meldung ein kurzes Augenrollen und ein „Alles aktzeptieren“ später verschwindet das Thema eigentlich wieder. Ich spreche aus Erfahrung. Nur ist es eines der großen Themen unserer Zeit und auch im Fußballumfeld werden die Grabenkämpfe immer öfter geführt.

In Leutzsch ist man diesbezüglich sensibler als andernorts. In Anbetracht von gleich zwei umfangreichen Überwachungsmaßnahmen im Fanumfeld ist das wenig überraschend. 129Freunde sollt ihr sein. Dass sächsische Sicherheitsbehörden sammelwütig sind, haben zu viele Chemiker und deren Umfeld erfahren müssen. (Gab es bisher Bestellungen für das neue Stickeralbum aus Dresden?) Dass dabei rechtsstaatliche Grundlagen gebeugt und gedehnt werden ist hinlänglich bekannt. Doch das Thema reicht weiter als ein Angriff auf die Privatsphäre „einiger Ultras“. Fußball könnte – mal wieder – Testfeld für neue Überwachungsmethoden werden, gerade weil Widerstand dagegen derzeit schwer ist.

Corona, Künstliche Intelligenz und die Sicherheitsorgane

Der Zuspruch zu den Corona-Maßnahmen ist hoch. Das Hygienekonzept in Leutzsch wurde angenommen und mitgetragen. Auch zukünftig wird die Toleranz der Fans wohl nicht sinken, wenn endlich wieder der Stadionbesuch winkt. Nur: Staatliche Organe nutzten in der Vergangenheit schon Daten, die im Zusammenhang mit Hygienemaßnahmen gesammelt wurden für ihre Strafverfolgung. Der Spielraum dafür ist enorm: werden Straftaten nahe eines Ortes festgestellt, kann die Polizei auf Anwesenheitslisten an diesem Ort zugreifen. In Anbetracht der jüngsten Enthüllungen um die Datenbank „Gewalttäter Sport“ sorgt dies – zurecht – für Skepsis. Selbst ohne Fans in den Stadien wuchs diese Datei im Jahr 2020 fleißig weiter. Bisher werden Fans, die in das Verzeichnis aufgenommen wurden nicht informiert. Die Kriterien sind schwammig, die Löschfristen werden teils nicht eingehalten. Mehr dazu bei drei90 ab ca. 1:15h.

Ein leeres Stimmungszentrum auf dem Leutzscher Norddamm, umrahmt von Fans mit Abstand, dazu eine herbstliche Szenerie. Ein Bild des Spiels der BSG gegen Bischoffswerda
Ein leerer Norddamm, persönliche Daten halb in den Händen des Staats. Wie teuer darf es sein, endlich wieder im Leutzscher Holz Spiele sehen zu können? Quelle: Höllenreiter

Dieser Sammeleifer bedroht die compliance der Fans zu den sinnigen und wichtigen Maßnahmen, die zum einen das Virus eindämmen und zum anderen die Massen wieder in die Stadien führen sollen. Und die Ideen reichen noch weiter.

Jana Ballweber von netzpolitik.org recherchierte zu Überlegungen, wie künstliche Intelligenz und umfangreiche Überwachungstechnik die Stadien wieder voll machen könnten. Ausführlicher wurde das im Hörfehler-Podcast besprochen. Kurz: Wärmebildkameras an den Stadientoren wären in der Lage, Fieber genau zu messen. Damit sie aber am richtigen Punkt messen, bedarf es einer Gesichtserkennungssoftware. Hier werden also potentiell Gesundheitsdaten zusammen mit persönlichen Daten erhoben. Inwiefern diese oder ähnliche Software dann auch in der Kurve darüber hinaus genutzt werden wird bleibt offen. Es ist bedrohlich.

Datenmissbrauch als Konsequenz politischer Agenden

Fußballvereine sind verpflichtet, die Daten, die sie erhalten zu sichern – wie jedes Unternehmen haben sie Datenschutzbeauftragte. Was allerdings passiert, wenn dieser Sicherungsmechanismus scheitert, kann man gerade in Stuttgart beobachten. Und das in besonders perfider Weise:

Anscheinend – die Untersuchungen laufen noch – versuchte die Vereinsführung 2016 Stimmen für eine Ausgliederung der Profimannschaft unter den Mitgliedern zu gewinnen, in dem „Guerilla-Marketing“ betrieben werden sollte. Eine externe Firma erhielt dafür Daten von Vereinsangehörigen – im fünfstelligen Bereich. Diese wurden genutzt, um personalisierte Werbung mittels Facebook zu schalten, die dazu bewegen sollte, der Ausgliederung auf der nächsten Mitgliederversammlung zu zu stimmen. Erfolgreich: Die Versammlung war gut besucht wie nie, der VfB teilte seine Profis als Aktiengesellschaft ab. Jene AG versuchte, den Vereinspräsidenten, der die Verstöße gegen den Datenschutz genau untersuchen will, abzusägen. Ausgang: offen.

KI, Überwachungskameras und Guerilla-Marketing sind zunächst Themen, die man bei Chemie nicht morgen oder übermorgen zu befürchten hat. Dass personalisierte Tickets aber nach Corona wieder verschwinden, wurde schon vom neuen NOFV-Präsidenten angezweifelt. Bereits im Sommer 2020 prophezeite Herr Winkler einen Angriff auf den Datenschutz: „Das ist ein Thema, was schon immer im Raum geistert, und vielleicht können wir das für die Zukunft für ganz andere Dinge nutzen.“ Winkler kündigt hier durch die Blume an, Daten von Fans weiter zu geben, beispielsweise an die Polizei. Wie intern mit den Daten umgegangen werden soll, also wie lange die gespeichert werden, wer darauf Zugriff hat usw. scheint egal – Hauptsache, man wird der „Pyro-Verbrecher“ habhaft. Die Datei „Gewalttäter Sport“ lässt grüßen.

Versprochen ist versprochen

Die DFL hat sich jüngst mit anderen Sportverbänden und der DEHOGA zusammen geschlossen und will jetzt erheben, wie die Verfolgung von Infektionsketten mittels der erhobenen Daten im letzten Sommer lief. Wissenschaftliche Handhabe zu haben, ob und wie Ansteckung im Rahmen von Sport und in der Gastronomie stattfand, ist ehrbar und notwendig. Und dass am Ende der Verlautbarung das Versprechen steht, dass potentielle „digitale Anwendungen“ zukünftig Datenschutz und -sicherheit garantieren sollen, ist nicht selbstverständlich. Daran müssen sich die Maßnahmen, die Verbände aber auch der Staat messen lassen. Es ist aber wohl an jedem und jeder – Vereinsmitgliedern, Fangruppen, Parteiangehörigen oder dem Individuum im Alltag oder auf Social Media – darauf zu achten und Datenschutz einzufordern.

Rene Lau, Mitglied der AG Fananwälte empfiehlt Anfragen zu stellen, ob man in der Datei „Gewalttäter Sport“ verzeichnet ist. Wie das geht erfahrt ihr hier (Spoiler: Es ist einfach). Juristisch dagegen vorzugehen ist möglich. Und auch wenn ihr nicht in der Datei steht, muss sich die Zentrale Informationsstelle Sport (ZIS) mit eurer Anfrage befassen, statt Geister zu jagen. Keiner mag uns? Scheißegal.