Wenn Chemie ins Stadion rennt …

So ein Lockdown, so richtig er auch ist, ist schon ganz schön hart. Gefühlt ein Jahr ohne richtige Stadionatmosphäre auszukommen und irgendwann dann auch noch auf regelmäßige Spiele unserer geliebten BSG Chemie verzichten zu müssen, geht nicht spurlos an einem vorbei. Da man zudem auch auf den Kneipenbesuch mit den Kumpels, den Lieblingschemikern um die Ecke oder anderen Fußballfreunden verzichten muss, benötigt es schon etwas Kreativität um aus dieser Situation das Beste zu machen. Zum Glück gibt es das Internet, diverse soziale Netzwerke und auch die Möglichkeit den einen oder anderen Telefonanruf zu tätigen.

Und so trug es sich zu, dass sich auf diversen Kanälen das eine oder andere Anekdötchen aus vergangenen Tagen erzählt wurde. Die Höllenreiter brachten ihr neues Heftchen heraus und erzählten da auch von vergangenen Spielen. Und in der Chemikantengruppe erinnerte man sich, an ein DFB-Pokal-Spiel aus dem Jahre 2005 im Leipziger Zentralstadion zwischen dem FC Sachsen und der SG Dynamo. Und so führte das eine zum anderen und man landete ganz schnell bei den Liedern der Kurve.

Kurvengesänge

Und mal ehrlich, das Summen oder gar lautstarke Singen diverser Chemieklassiker, im eigenen Auto, Garten, unter der Dusche oder im Nest, tröstet wenigstens etwas über die graue Zeit.

Das wir Chemiefans sind, dass weiß ein jedes Kind, wir stinken Meilenweit gegen den Wind. Das kommt vom Achselschweiß und auch vom fett’gen Haar, die letzte Dusche gab’s im Meisterjahr.

Trinkfest und arbeitsscheu und Chemie Leipzig treu, ja meine BSG verlass ich nie. Denn wir haben uns vorgenommen, im Leben zu nichts zu kommen, was uns auch Gott sei Dank, bisher gelang.

Liederbuch für alle Freunde des Leutzscher Fußballs S. 16-17

Und während die Nachbarn nach dem intonieren dieses feinen Songs noch mit der Frage beschäftigt sind, ob der Chemiker von nebenan jetzt endgültig den Verstand verloren hat, solltet ihr mal in euren heimischen Bücherregalen auf die Suche gehen. Es gab da nämlich mal, aus der Zeit im neuen Zentralstadion (irgendwann zwischen 2005 und 2008), ein Liederbuch mit dem Namen: „Wenn Chemie ins Stadion rennt …“. Und tatsächlich enthält dieses gute Stück nicht nur den oben zitierten Klassiker, von dem es irgendwie auch Schade ist, dass er heute nicht mehr ganz so inbrüstig intoniert wird, sondern auch noch jede Menge andere grandiose Stücke aus der Geschichte des Leutzscher Fußballs.

Wenn Chemie ins Stadion rennt ...
Liederbuch für alle Freunde des Leutzscher Fußballs
Wenn Chemie ins Stadion rennt …
Liederbuch für alle Freunde des Leutzscher Fußballs

Klassiker aus dem Liederbuch

Zum Beispiel diesen Klassiker hier, welcher vermutlich aus dem Jahre 1972 stammt, wenn man den Autoren des Buches glauben schenken darf.

Oh welch ein Glück, oh welch ein Glück, oh welch ein Glück für diese Stadt, dass sie Chemie Leipzig wieder in der Oberliga hat.

Liederbuch für alle Freunde des Leutzscher Fußballs S. 12

Das sollte doch auch den älteren unter uns noch die eine oder andere Erinnerung ins Gedächnis rufen. Irgendwie ist das doch auch das Schöne an den Kurvenliedern, verbindet man doch die eine oder andere Anekdote mit ihnen. Als „eher junger“ Chemiker macht es zudem Spaß die ganzen alten Gassenhauer aus den DDR-Zeiten noch einmal nachlesen zu können. Sei es vom einschießenden Schere, oder den dreißig Metern im Quadrat und drumherum nur Stacheldraht. Das war identitätsstiftend und gab Halt. Und außerdem konnte man mit den Gesängen irgendwie auch die Zeiten verbinden. Nichts ist heute passender als dieses Lied.

Wir sind aus Leipzig, die Grün-Weißen, die auf Traktor Dösen scheißen. Wir waren Meister und werden’s wieder, wenn auch nur in der vierten Liga. Allez, allez, allez, allez, allez, allez, allez, allez.

Für eine Mannschaft, voller Spieler, die jeden Gegner kämpfen nieder, geben wir alles, zu allen Zeiten, erst recht nach Lizensierungspleiten. Allez, allez, allez, allez, allez, allez, allez, allez.

Liederbuch für alle Freunde des Leutzscher Fußballs S. 69

Hatte der Text für die Aufstiegself 2003 scheinbar eine besondere Bedeutung, sangen sie Ihn doch während der Feierlichkeiten recht häufig, wenn man den Autoren des Liederbuchs glauben schenken darf, so passt er doch auch heute noch extrem gut. Für mich ist das erste Drittel dieser Coronasaison immer noch unglaublich gut gewesen, trotz aller Widrigkeiten so eine geile Truppe auf dem Platz zu haben.

Auch das titelgebende Lied erzählt eine schöne Geschichte. So haben die Autoren herausgefunden, dass im Jahre 1965 auf der Fahrt zum FDGB-Pokalspiel bei Wismut Aue der damalige Vorsänger „Lippe“ im Zug einen Zettel mit folgendem Text herumreichte.

Wenn Chemie ins Stadion rennt, und die Masse sie empfängt – steigt ein Fahnenwald empor, zwo, drei, vier, und dann singen wir im Chor, zwo, drei, vier, Chemie Leipzig du bist der Schrecken aller Klassen. Chemie Leipzig, bei dir muss jeder Punkte lassen.

Chemie Leipzig, wenn ich dich spielen seh‘ – fällt mir das beste Spiel von Schalke wieder ein, es könnte auch Borussia sein. Fällt mir das beste Spiel von Schalke wieder ein, es könnte auch Borussia sein.

Liederbuch für alle Freunde des Leutzscher Fußballs S. 32

Ein Lied was nicht nur schöne Erinnerungen beinhaltet und zum Träumen verleitet, sondern irgendwie auch eine Stilikone geworden ist, Zumindestens hat Jens Fuge zwei seiner drei großen Bänder über die Fanentwicklung bei der BSG Chemie, mit Zitaten aus diesem Lied benannt: „Steigt ein Fahnenwald empor…“ und „Du bist der Schrecken aller Klassen ..“.

Bei den Klassikern muss ich aber nochmal auf den einschießenden Schere eingehen. Dieses Lied ist an Heldenverehrung nicht zu überbieten und wurde bisher, laut den Autoren des Liederbuches, nur auf „Liese“ (Klaus Lisiewicz), „Spießer“ (Bernd Bauchspieß) und „Hansi“ (Hans-Jörg Leitzke) umgedichtet und zumindesten glaube ich, dass es auch nach dem Neuanfang in der Kreisklasse noch kein Spieler geschafft hat, diesen Titel mit seinem Namen zu hören.

Oh mein Schere, oh mein Schere, oh mein Schere schieß doch ein. Denn wir wollen ja so gerne wieder Deutscher Meister sein.

Und ein Freistoß kam von Schere, und der Sieg ist uns gewiss, und der Tag ist nicht mehr ferne wo Chemie der Meister ist.

Liederbuch für alle Freunde des Leutzscher Fußballs S. 44

Pöbelgesänge

Natürlich kommt im Liederbuch aber auch noch der eine oder andere Pöbelgesang zur Geltung. Denn Pöbeln, dass gehört ja irgendwie auch zum Fußball dazu. Und so werden den Pöbelgesängen ganze 20 Seiten gewidmet und nahezu allen ostdeutschen Clubs wurden einige Zeilen gewidmet. Auch unser gehasster Rivale kommt nicht zu kurz, wie z.B. in diesem Chant.

Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum, an jedem Ast ein Clubschwein, die Äste reichen kaum. Schade um den Baum, schade um den Baum, schade schade schade um den Baum.

Liederbuch für alle Freunde des Leutzscher Fußballs S. 85

Was ich euch eigentlich mit dem Text sagen will, schaut mal ob ihr das Liederbuch habt, lest mal darin, erinnert euch und irgendwann werdet ihr das gesammelte Wissen im Stadion anwenden können. Bei uns Chemikanten sorgte die Wiederentdeckung des Buches für eine Menge Anekdoten und auf Twitter entspann sich sogar eine kleine Diskussion mit den Autoren des Liederbuches, die zugleich auch noch im ehemaligen Fanzine Cult Hoch 64 inolviert waren und ebenfalls tweeterisch in Erinnerung schwelgten.

Fortsetzung folgt?

Was das Buch leider nicht enthält, sind all die ganzen neuen Gesänge, wie das Hackebeillied oder der Chant: „Voran BSG“, aber auch unser geliebtes: „Ei ei ei wir haben eine Mannschaft“, ist noch nicht zu finden. Eigentlich schreit das doch nach einer überarbeiteten Neuauflage dieses kleinen Taschenbuches. Denn das beste am Liederbuch ist, es passt in jede Hosentasche und kann still und heimlich auch im Stadion zum Nachschlagen verwendet werden. Jedenfalls: Fußballgesänge sind Kulturgut und müssen für die Nachwelt erhalten werden, da wäre es doch großartig wenn sich da was ergeben könnte. Und bis dahin, schwelgen wir halt in Erinnerungen!